[Eine kurze Geschichte aus Sicht von C-I-X-2, um mich besser in ihn hineinzuversetzen]

 

>Die Menschheit ist grausam<

, sagte ich und drehte Abel langsam den Kopf zu. „Findest du nicht auch?“

Ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen, seine grünen Augen wirkten im matten Licht der Kerzen beinahe schwarz. „Bin ich nicht der falsche, um über so etwas zu reden?“, fragte er.

Ich schob einen Stapel Pergamentrollen zur Seite, ließ mich nieder und deutete auf einen schlichten Hocker aus Holz. „Ich bin ganz der gegenteiligen Meinung. Setz dich.“

Abel setzte sich. Sein schwarzer Anzug trug deutliche Spuren des Gebrauchs, selbst die Ärmelsäume fransten langsam aus. Alles in allem war er eine seriöse, wenn auch nicht allzu beeindruckende Erscheinung. Erste graue Haare hoben sich deutlich von sonst schwarzbraunen Locken ab und zeigten sich auch in seinen vernachlässigten Bartstoppeln. Der Mann wirkte alt- aber das war er ja auch. „Du bist also der gegenteiligen Meinung. Und was bringt dich zu dieser Überzeugung?“ Abel lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinterm Kopf und machte Anstalten, die Füße auf meinen Tisch zu legen. Mit einem mehr als nur missbilligenden Blick hielt ich ihn davon ab.

Nach einer Weile richtete ich meinen leicht starren Blick von den Füßen meines Gegenübers weg auf dessen Gesicht. Die schwarzen Adern, die unter meinem Auge hervortraten, schienen nach den Buchstaben in meiner Haut zu greifen. Vielleicht taten sie das auch. Die Antimaterie unter meiner Haut besaß immerhin eine Art Eigenleben- ein Eigenleben, das immer mehr von meinem Körper vereinnahmte und in mir ein Gefühl verursachte, als würde sich in meinen Venen ein hämmernder Druck ansammeln, der ganz langsam, Zelle für Zelle, mein Fleisch auseinander riss, verschlang und mit seiner eigenen Schwärze füllte. Zumindest war das die bestmögliche Beschreibung für 'Dunkelheit', ganz abgesehen davon, was die Antimaterie mit der Psyche anstellte. „Dein Bruder.“, sagte ich schließlich.

Abels Lächeln wurde breiter. „Schön, dass du ihn als 'Etwas' bezeichnest.“ Er war gut, doch mir entging seine plötzliche Nervosität nicht.

„Du versuchst, deinen Groll vor mir zu verbergen.“, stellte ich fest.

„Da hast du recht.“ Sein Lächeln schwand. „Gut. Schön. Mein Bruder. Kain. Grausam. Stimmt. Ein eifersüchtiger Idiot, er mit seinen blöden Feldfrüchten. Was willst du jetzt von mir hören? Dass ich tief im inneren ein armes Wesen bin, dass an Depressionen leidet?“

„Du musst gar nichts mehr sagen.“ Ich stand auf, der schwere Stoff meiner Kleidung raschelte leise. „Soeben habe ich mich versichert, dass dem nicht so ist. Du kannst gehen.“

Abel warf mir einen schiefen Blick zu, der Zweck seines Besuchs und dieser für seinen Geschmack wohl viel zu kurzen Konversation war für ihn offensichtlich nicht greifbar. Dennoch erhob er sich. „Lebe wohl.“

Langsam nickte ich und winkte den zweiten Sohn der Menschheit ungeduldig aus dem Raum. Als er gegangen war, löschte der ich alle Kerzen bis auf eine Einzelne und hielt meine rechte Hand über die kleine Flamme. Mein Fleisch war nun beinahe transparent, nur die schwarzen Adern zeichneten sich deutlich ab. Sie bildeten ein immer dichter werdendes Geflecht.

„Du wirst sehen, Menschensohn...“, murmelte ich. „...dass meine Pläne auch auf dich niedergehen werden.“